Meine Kleider wurden gering geschätzt, dass sie auf Trödelmärkten oder Internet-Verkaufsplatformen geradezu verramscht wurden, oder noch nicht einmal das.
Eine Dame verkauft ein Kleid so billig, weil es Gebrauchsspuren habe. Wenn ein Buch Eselsohren und "Fettfinger" hat, dann wurde es viel gelesen. Das macht es nicht minderwertig, im Gegenteil. Gebrauchsspuren zeigen, dass ein Kleid wohl oft und gern getragen wurde. Vielleicht erzählt es eine Geschichte. Wertlos wird es durch Gebrauchsspuren nicht. Hat ein Kleid ohne Gebrauchsspuren niemandem gefallen? Das zeugt nicht von Wert.
Schweißflecken im Tanzkleid, Cappuccino-Flecken auf dem Stadtbummel-Kleid, Rotweinflecken auf dem Cocktailkleid, Sonnencremeflecken auf dem Strandkleid, Flecken auf Monicas Verführungskleid, verschlissener Stoff des Jeanskleids ... Bekäme doch jedes Kleid solche Gebrauchsspuren, die von glücklichen Stunden erzählen!
Es gibt Geringschätzung. Aus einem Brautkleid ist ein breiter Streifen Stoff herausgeschnitten, aus der oberen Stofflage des Rocks unter dem Tüll. Einem anderen Brautkleid sind die Applikationen am Ausschnitt und an der Brust herausgeschnitten. Die Rest-Kleider kamen in den Container. Die Ärmel des Brautkleids abschneiden, das Kleid auf links, neue Nähte parallel zu den Seitennähten und der Mittelnaht, die eingenähten Stoffstreifen abschneiden, den Rock kurz schneiden - fertig ist das Rosenmontagskleidchen für das Töchterchen. Nach Aschermittwoch Kleidchen und Stoffreste in den Müll.
Im Herbst kommen Sommerkleider in Müllsäcken in den feuchten Keller, im Frühling sind sie Müll. Ein süßes Kuschel-Minikleid aus den frühen 80ern wird in der Taille durchgeschnitten. Den abgetrennten Rock finde ich in der Textilverwertung. Die Geringschätzung macht mich traurig.